Finanzen Gründung

„Sei bereit, dich jeden einzelnen Tag zu hinterfragen“

Sie ist noch keine 30 Jahre alt, hat mehrere Millionen Euro Risikokapital eingesammelt – und  hat 50 Mitarbeiter: Katharina Jünger ist die Gründerin von TeleClinic – einer digitalen Arztpraxis.

Wir haben mit Katharina darüber gesprochen, wie sie ihre Geschäftsidee entwickelt hat, warum es so wenige weibliche Gründerinnen gibt – und welche Tipps sie allen gibt, die ebenfalls ein Startup gründen wollen.

Du hast mit 24 Jahren Teleclinic gegründet. Warum hast du dich entschieden, eine Firma zu gründen und nicht erst einmal festangestellt zu arbeiten, wie man das in Deutschland normalerweise macht? 

Ich suche immer nach der größten Herausforderung, der Umgebung, in der ich persönlich am Stärksten wachsen und am Meisten bewegen kann. Das war und ist auch heute noch TeleClinic. 

Deine Eltern sind Ärzte. Darüber bist du auf die Idee gekommen, habe ich gelesen. Was waren deine ersten Schritte nach dem „zündenden Gedanken“? Wie bist du konkret vorgegangen? Hast du einen Businessplan geschrieben?

Ich habe nach meinem Jura Studium am CDTM (Center for Digital Technology & Management) in München Technology Management studiert. Dort habe ich mich mit Innovation in stark regulierten Märkten und schließlich auch im Rahmen eines Projektes, das von Prof. Dr. Reinhard Meier, unserem medizinischen Direktor initiiert wurde, mit Telemedizin beschäftigt.

Im Rahmen dieses Projektes haben wir die Möglichkeit für eine Plattform für den digitalen Arztbesuch entdeckt, der mich auch persönlich als Tochter von zwei Ärzten überzeugt und begeistert hat.

Mit dem Business Plan haben wir dann ein erstes MVP gebaut, mit Patienten, Ärzten und Krankenversicherern gesprochen, Wettbwerbsanalyse gemacht und schließlich einen ersten Pilotkunden gewinnen können. Das war damals ein großer deutscher Mittelständer, der seine Mitarbeiter ins Ausland entsendet und daher unsere Lösung sehr interessant fand.

Mit all dem haben wir dann das Gründerstipendium „Exist“ erhalten, das uns geholfen hat das erste Jahr zu finanzieren, um dann eine erste Finanzierungsrunde mit Business Angels umzusetzen. 

Hast du zunächst alleine gegründet oder hast du mit Reinhard Meier und Patrick Palacin direkt zum Start ein Team gebildet? Wie hast du sie überzeugt? 

Reinhard Meier war der externe Projektpartner am CDTM und damit mein natürlicher Co-Founder. Wir haben dann in München einen CTO gesucht und sind an der TU München auf Patrick Palacin gestoßen. Wir haben also direkt zum Start ein Team gebildet. Reinhard musste ich nicht überzeugen. Patrick hat den großen Markt, den Nutzen für Ärzte, Versicherer und Patienten und die Möglichkeiten, die uns neue Technologien bieten, gesehen. 

Kannst du Tipps geben, wie man die EXIST-Jury überzeugt? 

Ein guter Business Plan, eine runde Strategie, ein großer Markt und insbesondere bei Exist wichtig, eine echte Innovation, die einen Bezug zur Uni hat.

Wie hast du deinen Elevator Pitch entwickelt? 

Ich habe mir andere Pitches im Internet angeschaut, und dann meinen eigenen konstant verfeinert, mit einer Stoppuhr getestet und mir von anderen Feedback eingeholt. 

Wie entwickelt sich der Telemedizin-Markt? Sind Menschen bereit, sich per Smartphone beraten zu lassen, so wie sie schon jetzt online einkaufen?

Der Wechsel vom Arzt vor Ort in der Praxis hin zum Arzt, den man in der digitalen Praxis trifft, ist anspruchsvoll. Insbesondere, weil der Patient im entscheidenden Moment nicht wie der Nutzer von Zalando entspannt auf der Coach sitzt, sondern in der Regel gerade höchst emotional und verunsichert ist.

Wir sehen aber, dass die Vorteile von TeleClinic gegenüber dem normalen Praxisbesuch vor Ort so groß sind – kein wochenlanges Warten auf einen Arzttermin, keine Anfahrt, kein Warten und Anstecken im Wartezimmer, garantiert gute Ärzte – dass uns trotz des ungewohnten Verhaltens schon heute sehr viele Patienten einem normalen Arztbesuch vorziehen und es werden täglich mehr.  

Und wie ist es mit den Ärzten? Was sagen sie dazu, wenn jetzt eine Online-Plattform zwischen ihnen und dem Patienten steht? Bekommt ihr nicht auch Kritik zu hören? 

Wir stehen nicht zwischen den Ärzten und den Patienten, sondern bieten den Ärzten nur eine Möglichkeit ihre Expertise flexibler und ortsunabhängig anzubieten. D.h. der Patient ist nicht darauf angewiesen, dass der entsprechende Arzt zufälligerweise bei ihm in der Nähe wohnt, sondern kann mit dem Arzt verbunden, der ihm tatsächlich am Besten helfen kann.

Dass wir unsere Rolle darin sehen für Ärzte die Digitalisierung fruchtbar zu machen und ihnen neue, attraktive Möglichkeiten für das Angebot ihrer wertvollen Arbeit zu geben, haben wir seit Tag 1 klar so kommuniziert und sind insofern in der deutschen Ärzteschaft sehr positiv besetzt. 

Nur rund 1/3 aller Gründer sind weiblich. Scheint so, als wären Startups und Gründungen immer noch Männersache. Wie nimmst du das wahr? 

1/3, das scheint mir zu viel, ich glaube es sind weniger. Ähnlich verhält es sich ja auch in höheren Angestelltenpositionen. In meinen Augen liegt das klar daran, dass es in Deutschland quasi unmöglich ist Familie und eine Fulltime-Arbeit zu vereinen, so dass für Frauen, die Kinder wollen, anspruchsvolle Jobs, die über viele Jahre eine Fulltime-Tätigkeit voraussetzen von vornherein schwierig sind und daher als möglicher Berufsweg gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

Ich habe viel mit Unternehmern aus anderen Ländern zu tun. Dort ist es ganz anders und insofern ist auch Gründen für Frauen dort attraktiver und möglich. Befreundete Unternehmer sind geschockt, wenn sie hören, dass es in Deutschland keine staatliche Betreuung für Kinder unter einem Jahr gibt. Dann ist es schlicht unmöglich oder sehr sehr schwer Familie und eine Vollzeitarbeit zu vereinen. 

Heute arbeiten fast 50 Leute bei Teleclinic und ihr habt neues Venture Capital eingesammelt. Wo steht ihr in 3 Jahren? 

In 3 Jahren sind wir über 100 Mitarbeiter, immer noch die klare Nummer 1 was den Online Arztbesuch in Deutschland anbelangt und wachsen weiterhin konstant mit mehr als 25% pro Monat. Wir sind auf einem guten Weg für jeden Deutschen die erste Wahl zu sein, wenn sie zum Arzt gehen müssen. 

Zum Abschluss: Welchen Tipp kannst du Gründerinnen und Gründern geben? Wie schaffe ich es, dass mein Unternehmen erfolgreich wird? 

1. Fange überhaupt erst an, wenn Du 100% hinter dem Ziel und der Vision Deines Unternehmens stehst. 

2. Stelle die Vision Deines Unternehmens über alles andere, insbesondere über Dein persönliches Ego. 

3. Gewinne die besten Leute für Deine Vision und sei bereit Dich jeden einzelnen Tag zu hinterfragen, ob Eure Handlungen unmittelbar auf Eure Ziele einzahlen und was Du selbst tun kannst, damit ihr Eurem Ziel noch schneller näherkommt.

Vielen Dank!

Autor

Benjamin O’Daniel ist Redaktionsleiter von Existenzgründer & Jungunternehmer. Sie haben ein Thema, das Sie interessiert? Dann schreiben Sie uns eine Mail.